Projekt Wanzleben

Wahlfamilien gründen

Das Schrumpfen von Städten bedeutet nicht nur Leerstand, sondern auch  das Ausdünnen von Beziehungen. Wenn weniger Menschen die Stadt nutzen, sich seltener begegnen und Arbeitsteilungen nicht mehr zustande kommen, zerreißt das Geflecht, das den sozialen Raum bildet. Langfristig veröden Orte. Überaus greifbar wird dieser Verlust, wenn in alternden Städten die Alten allein bleiben, weil Kinder und Enkel weggezogen sind. Pflege und Betreuungsaufgaben, die Familien einst übernommen hatten, bleiben dann vakant. Ansätze zur Stabilisierung des sozialen Geflechts in schrumpfenden Städten sind daher international relevant. Die Stadt Wanzleben bringt ihre Erfahrungen auf diesem Feld in die IBA Stadtumbau 2010 ein.

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Wanzleben ist mit 5200 Einwohnern eine Kleinstadt in der historisch agrarischen Börde, die ihre Kreisstadtfunktion und damit Arbeitsplätze, Einwohner und Bedeutung verloren hat. Sie hat einen Schrumpfungsprozess zu bewältigen – verfügt aber über soziales Kapital. Als Standort von Pflanzenforschung und Züchtung ist der Anteil an gebildeten und aktiven Bewohnern traditionell hoch. Informelle Strukturen gegenseitiger Hilfe und Kommunikation sind gut und ihre Erosion durch Abwanderung noch nicht zu weit vorangeschritten. Die Stadt zählt 45 Vereine – von Kulturvereinen über die Volkssolidarität, den Behindertenverband bis hin zum Förderverein der freiwilligen Feuerwehr.

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Als eines der IBA-Labore experimentiert Wanzleben mit dem Modell, die ausdünnende städtische Gesellschaft mit einer unkonventionellen, generationenübergreifenden „Familienpolitik“ zu stabilisieren. Familienpolitik bedeutet dabei nicht, Familien im klassischen Sinne zu stärken, sondern das System der Familie auf eine moderne städtische Gesellschaft zu übertragen. Soziale Aufgaben werden zunehmend von Wahlfamilien, Freunden oder der Öffentlichkeit übernommen – mitunter bürgerschaftlich und informell. Ein Ansatz Wanzlebens ist, diese nachbarschaftliche Hilfe stärker ins Bewusstsein zu bringen und ihre Wertschätzung in der Öffentlichkeit zu fördern. Im IBA-Prozess stellt Wanzleben die Frage, wie eine Stadtöffentlichkeit organisiert sein muss, um Aufgaben der Fürsorge, Sozialisation und Gemeinschaftlichkeit zu erfüllen.

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Einen wichtigen Impuls für das öffentliche Gespräch setzte die Stadt im Dezember 2004 mit einer Aktion auf dem Weihnachtsmarkt. Gesucht wurden Menschengruppen, die von sich sagen: „Wir sind Familie“. Von diesen „Wahlfamilien“ wurden Gruppenbilder aufgenommen. Anschließend diskutierte man über Themen wie „Verein als Familie“ und „Nachbarn als Familie“. Unter dem Projekttitel „Urbane Familienfelder“ begann Wanzleben daran zu arbeiten, das Thema „Stadt als Familie“ in den Mittelpunkt des politischen und gesellschaftlichen Interesses zu rücken.

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Im April 2009 gründete sich als Verbund der Vereine und informell engagierten Bürger das Wanzleber „Familienbündnis“. Es trat mit den Fragen an: Wie übernehmen wir gemeinsam Aufgaben der Sorge, die von der Kommune nicht mehr gewährleistet werden? Wie pflegen wir Gemeinschaft? Wie verhindern wir, dass Wanzleben zu einer Schlafstadt wird? Wie erhöhen wir Lebensqualität?

Im Jahr 2006 beteiligten sich 60 Kinder und Jugendliche aller Schulformen an einem Wettbewerb um Elemente für eine Kampagne des künftigen Wanzleben. Ein Lied, das dabei entstand, wurde zur offiziellen Telefonmelodie der Stadtverwaltung. Ein Stadtplan, der ein „familienfreundliches“ Wanzleben aus der Sicht der Kinder und Jugendlichen zeigt, wurde öffentlich ausgehängt. Veranstaltungen wie eine „Familienmesse“ (Mai 2008) und „Familientage“ jeweils im September gaben den lokalen Vereinen Gelegenheit, sich zu präsentieren.

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Die Akteure verständigen sich darüber, welche Aufgaben bereits wahrgenommen werden und welche fehlen. Ziel ist, bestehende Angebote publik zu machen und fehlende zu ergänzen. Dazu gehören bildende und unterhaltende Veranstaltungen ebenso wie soziale Leistungen.

Als Broschüre und als Website soll ein „Familienwegweiser“ entstehen, der es jedem Wanzlebener ermöglicht, schnell die notwendige Unterstützung zu finden. Als Nahziel versucht das Bündnis, wieder eine aufsuchende Sozialhilfe einzurichten.

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Ein anderes Thema war die Organisation von Schultransporten. Um das Miteinander an Schulen zu stärken, erreichte das Bündnis, dass die Sekundarschule Wanzleben für alle Schüler eine gemeinsame Mittagspause, das sogenannte „Mittagsband“ einrichtete. Aktionen wie das „Kino im Park“ einmal jährlich im August, Floßbau oder ein Wanzleber Seifenkistenrennen beleben das Interesse an einer städtischen Öffentlichkeit.

Flankierend zum IBA-Projekt entsteht entlang des „grünen Bandes“ am Flusslauf der Sarre ein Park mit Angeboten für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Mit Unterstützung des Familienbündnisses entwickelte die Initiative BurgKrümel e. V. ein Konzept für einen Generationenspielplatz. Das IBA-Projekt in Wanzleben ist strategisch auf einen langen Zeitraum angelegt, der über die IBA Stadtumbau 2010 hinaus weist.

Tina Veihelmann, 2010

Präsentation 2010 in Wanzleben

Aktionen zur Aneignung des Stadtraums von April bis Oktober 2010

Konzeption: Uta Linde, stadtgezeiten, Magdeburg

Wander-Foto-Ausstellung Wir sind Familie

Kulturhaus, Raßbachplatz 1

Weitere Wanzleben-Bilder

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Info: Wanzleben