Weniger ist mehr – Experimenteller Stadtumbau in Ostdeutschland

Studie im Auftrag der Stiftung Bauhaus Dessau, 2001

Ende 2000 forderte der Minister für Städtebau und Wohnungswesen des Landes Sachsen-Anhalt die Stiftung Bauhaus Dessau auf, sich mit gestalterischen Vorschlägen für den Stadtumbau ostdeutscher Städte zu Wort zu melden. Dieses Thema ist seit der Veröffentlichung des Berichts der „Kommission wohnungwirtschaftlicher Strukturwandel in den neuen Bundesländern“ im November 2001 in aller Munde: Die Kommission empfahl damals, den Wohnungsmarkt in Ostdeutschland, der vom Leerstand von einer Million Wohnungen betroffen war, durch den Abriss von 300 bis 400 Tausend Wohnungen zu regulieren.

Dieser Leerstand ist vor allem ein Folge des ökonomischen Strukturwandels in Ostdeutschland, den einzelne Autoren nicht nur als massive Deindustrialisierung, sondern sogar als Deökonomisierung bezeichnen. Die wirtschaftliche Restrukturierung der neuen Länder geht mit unterschiedlichem Tempo und Erfolg voran: Wir haben uns mittlerweile auf eine längere Phase der Transformation eingestellt, in der wir uns von vielen überlieferten Rezepten der Entwicklung verabschieden und völlig neue Ansätze erfinden und experimentieren müssen.

Das war Anlass für die Stiftung Bauhaus Dessau, sich erneut der ostdeutschen Stadtentwicklung unter den Vorzeichen starker Bevölkerungsverluste und grundlegender ökonomischer Veränderungen zu zuwenden.

Das Bauhaus hat in den 1920er Jahren in Dessau wichtige Beiträge zur Rationalisierung der Wohnungsbauproduktion geliefert. Die Siedlung Törten von Walter Gropius ist hierfür ein Beispiel: Eine Antwort auf den Mangel an preiswertem und gutem Wohnraum für die damals stetig wachsende Industriearbeiterschaft. Heute stehen wir am Ende dieser Industrieepoche, die vor allem auf quantitatives Wachstum, auf die Befriedigung einer Nachfrage durch Massenkonsum ausgerichtet war.

Heute sind wir mit anderen Faktoren konfrontiert:

1. Rückläufige demografische Entwicklungen – nicht nur in Ostdeutschland
2. individualisierte Lebensformen, die beispielsweise als sehr unterschiedliche Zielgruppen und Nachfrager auf dem Wohnungsmarkt in Erscheinung treten,
3. die kulturelle Orientierung hin auf eine Ökonomie der Erlebnisse und Ereignisse, und schließlich als grundlegender Faktor
4. eine durch die neuen Technologien vollständig veränderte Landschaft der Produktion und Ökonomie, die vorrangig auf dem "Rohstoff Wissen" basiert.

Dies sind die Herausforderungen der Zeit, auf die alle gesellschaftlichen Akteure, auch der Städtebau und die Architektur, radikal neue Antworten finden müssen.

Mit dem Titel "Weniger ist mehr" für die heutige Projektpräsentation knüpft die Stiftung Bauhaus Dessau an ihre eigene Geschichte an: „Weniger ist mehr“, noch bekannter in der englischen Version „Less is more“, war die Maxime des dritten Bauhausdirektors Ludwig Mies van der Rohe. Oft und gerne ist dieser Satz falsch verstanden worden im Sinne einer Reduktion auf ein Weniger; gemeint war von Anfang an jedoch die Reduzierung auf das Wesentliche. Der Satz ist seinerseits die Verknappung einer Aussage von Lessing: „Zeichnen ist die Kunst des Weglassens“. Und um diese „Kunst des Weglassens“ ging es Mies seit seinen Lehrjahren im Büro von Peter Behrens. Mit dem Satz „Weniger ist mehr“, den er schon in den 1910er und 1920er Jahren immer wieder postulierte, drückte er die Suche nach der Gesetzmässigkeit aus, die seiner Meinung nach jedem Objekt innewohnt. Vollendet realisiert hat er das Motto in den amerikanischen Bauten, allen voran das Seagram Building und das Farnsworth House, aber schon die beiden nicht realisierten Glashochhäuser, die er unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg entwarf, sind eine Umsetzung dieser Grundidee in den Entwurf. Die Suche nach dem Wesentlichen vermittelte er auch seinen Schülern am Bauhaus zwischen 1930 und 1933: Qualitätsbewusstsein und der sparsame Einsatz genau der Mittel, die zur Erfüllung einer gestellten Aufgabe unabdingbar sind, waren die Leitsätze seines Unterrichts. Wenn wir heute im Kontext des Stadtumbaus in Ostdeutschland mit experimentellen Strategien an die Mies’sche Maxime anknüpfen wollen, dann machen wir uns unter anderem auf die Suche nach „wesentlichen Mitteln“ für ein neues Verständnis der vorhandenen Städte. Wir fragen nach den eigenwilligen Potentialen, die ihnen innewohnen. Und dabei müssen wir alle bekannten und vertrauten Routinen des Denkens und des Handelns zur Disposition stellen.

Wir sollten die weniger dicht besiedelte Stadt als Chance erkennen, und die Erprobung von Konzepten wie auch die Generierung von Know-How, eben Wissen zur städtebaulich- architektonischen Gestaltung der Stadt mit geringer Dichte als zukunftsträchtiges Feld für experimentelle Projekte begreifen, die erhebliche ökonomische Impulse eröffnen könnten.

In der vorliegenden Dokumentation wurde die Arbeit der Projektgruppe um Philipp Oswalt und die Positionen des Projektbeirates zusammengefasst, so wie sie am 6. Juli 2001 im Bauhaus präsentiert wurden.

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