Die Altstadt wird ein guter Ort zum Leben

Interview mit Gisela Kirchner und Iris Reuther

„Es gab viele Auseinandersetzungen um das Luthergeburtshausensemble – aber sie haben sich gelohnt.“
Gisela Kirchner, Sachgebietsleiterin für Stadtplanung und Sanierung in der Stadtverwaltung der Lutherstadt Eisleben

„Das Image der Altstadt wandelt sich hin zu einem guten Ort zum Leben.“
Iris Reuther, Architektin für Stadtplanung, Büro für urbane Projekte

Mit dem Abriss historischer Gebäude in der denkmalgeschützten Altstadt begeht Eisleben geradezu einen Tabu-Bruch. Die Rede ist von „perforierter Schrumpfung“ …

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Iris Reuther: … ein Begriff, der mir nicht gefällt. „Aktiver Stadtumbau“ trifft es besser. Wir füllen die Lücken ja wieder bzw. verzichten auf Gebäude, um Freiräume zu gewinnen.

Gisela Kirchner: Es ist die Frage, wie viel wir aufgeben können oder müssen, damit Eisleben eine lebenswerte Stadt bleibt. Vor zehn Jahren hatten wir trotz Fördermitteln eine immer leerer werdende Altstadt. 2002 fragten wir bei der Erarbeitung des Stadtentwicklungskonzeptes die Bürger, ob und unter welchen Bedingungen sie in der Altstadt mit ihren 700 schützenswerten Objekten leben möchten. Viele können sich das vorstellen, aber sie brauchen einen Pkw-Stellplatz, Freiraum – wenigstens einen Balkon – und sie wünschen kurze Wege.

Allerdings reißen Sie nicht ab, um lediglich Parkplätze zu bauen. Wie kamen die ambitionierten Projekte Lutherstraße/Badergasse und Luthergeburtshausensemble zustande?

Iris Reuther: Das Stadtentwicklungskonzept erarbeiteten wir mit breiter Öffentlichkeit. Im Jahr 2002, als der Bundeswettbewerb „Stadtumbau Ost“ lief, kamen die Eigentümer der Lutherstraße auf die Planer zu. So wurde das kleine Quartier mit den winzigen Höfen unser Pilotprojekt, das zeigen sollte, wie Stadtumbau funktionieren kann.

Gisela Kirchner: Ein denkmalgeschütztes Haus und ein Ruine gegenüber von Luthers Geburtshaus waren wirtschaftlich nicht zu halten. Bei unserem ersten IBA-Workshop 2003 haben wir uns diesem Bereich gewidmet und Lutherstiftung, Denkmalpfleger, einfach möglichst alle irgendwie Betroffene einbezogen. So entstand der Vorschlag, das Geburtshaus zu sanieren, in einem Neubau Ausstellungsflächen zu schaffen und auf der anderen Straßenseite ein neues Besucherzentrum zu errichten, also die neue „Adresse Weltkulturerbe“ zu prägen.

Und der moderne Neubau an historischer Stelle wurde so einfach akzeptiert?

Gisela Kirchner: Es gab harte Auseinandersetzungen – aber sie haben sich gelohnt. Immerhin haben wir schon drei Preise für das Projekt erhalten und bewiesen, dass man auch im Welterbe-Bereich neu bauen kann. Wichtig ist, dass man mit allen spricht, nichts verheimlicht, Probleme offen benennt und gemeinsam nach Lösungen sucht.

Welche Instrumente haben Sie für die breite Einbeziehung von Partnern entwickelt?

Iris Reuther: Das „Gemeinschaftswerk Lutherstadtumbau“ ist eine wichtige Arbeitsplattform, die auch über das IBA-Jahr 2010 hinaus funktionieren kann. Es wird von der Stadt gemanagt und bisher vom IBABüro und dem Büro für urbane Projekte betreut. Bauherren wie die Stiftung Luthergedenkstätten, Vereine, Grundstückseigentümer, Architekten, Kirchengemeinden und Fachplaner wirken dort zusammen. Das Gemeinschaftswerk begleitet auch Einzelprojekte wie den Lutherweg. Öffentliche Veranstaltungen bieten die Möglichkeit, sich zu informieren: Beim Geburtshausensemble lagen die Planungen schon vor dem ersten Spatenstich offen.

Gisela Kirchner: Beim Spaziergang auf dem Lutherweg haben wir in jedem Jahr mehr Teilnehmer. Dass zur Premiere vor vier Jahren 300 Leute kamen, hat uns angenehm überrascht. Diese Spaziergänge bieten die Chance, zu erklären, was entstehen soll. Und es wird von Jahr zu Jahr etwas Neues fertig.

Welches Fazit ziehen Sie aus der IBA-Teilnahme?

Gisela Kirchner: Die IBA ist ein guter Motor für den Stadtumbau und bringt tragfähige, frische Ideen. Eine wichtige Erfahrung ist, dass Stadterneuerung und Stadtumbau vom Schreibtisch aus nicht funktionieren. Die Hauptarbeit besteht darin, mit den Menschen vor Ort zu reden, den Kontakt zu halten und Vereinbarungen für konkrete Schritte zu treffen.

Iris Reuther: Das Image der Altstadt wandelt sich hin zu einem guten Ort zum Leben. Dieses Thema muss ausgebaut werden, damit sich der Standort für das Wohnen, Arbeiten, die Versorgung, Bildung und Kultur weiter konsolidiert. Ich glaube, dass diese Art Stadtentwicklung ein sich selbst tragender Prozess werden kann.

Info: Lutherstadt Eisleben