Projekt Staßfurt

Aufheben der Mitte

Staßfurt ist in dramatischer Weise von der Geschichte des Salzbergbaus geprägt: Es hat infolge von Bodensenkungen seine historische Mitte verloren. Im IBA-Prozess setzt sich die Stadt mit diesem Verlust und mit der Problematik von Bergbaufolgeschäden auseinander.

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Staßfurt hatte sich im Mittelalter als kleiner Ort an einer Furt durch die Bode entwickelt. Hier gewann man durch Verdunstungs- und Siedetechniken Salz. Aber erst durch den Salzbergbau Ende des 19. Jahrhunderts erlangte es einige Bedeutung. Mit den Schächten „von der Heydt“ und von „Manteuffel“ sollte die Technik der Steinsalzgewinnung revolutioniert werden. Doch die neuen Fördertechniken führten zu einer ganz anderen Revolution. Nachdem man bunte, bittere Salze als Nebenprodukte auf Halden gelagert hatte, stellte der Chemiker Dr. Adolf Frank in Staßfurt fest, dass das in diesen Salzen enthaltene Kalium zu üppigerem Wachstum der Pflanzen führte. Schnell erkannte man, dass diese Salze zu mineralischen Düngemitteln verarbeitet werden konnten. Die Ära der kaliverarbeitenden Industrie begann, in deren Hochzeit in der Umgebung Staßfurts 33 chemische Fabriken prosperierten.

Etwas später bezahlte die Stadt einen hohen Preis. Die Unkenntnis über Bodenbeschaffenheiten und Wasseradern führte zu folgenschweren Fehlern. Wasser drang in Salzstöcke und löste Salze, Hohlräume brachen ein. Schließlich mussten die Salzschächte aufgegeben werden. Im Laufe eines Jahrhunderts kam es immer wieder zu Bodensenkungen im Stadtgebiet und in der Umgebung. Vom Strandsolbad über das Stadtzentrum bis zum Stadtteil nördlich der Bode erstreckt sich ein Senkungsgebiet mit verschiedenen Senkungszentren, eines davon ist der „Große Markt“ in Staßfurts Mitte. Mit anderen Worten: Seit 1883 senkte sich die historische Stadtmitte um etwa 6,30 Meter. Auf 200 Hektar Grund mussten bis in die 1960er Jahre 800 Gebäude abgerissen werden – darunter das Rathaus und die Kirche.

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Die verlorene Mitte blieb lange ein blinder Fleck, weder städtebaulich noch kulturell wurde ein Umgang mit diesem Verlust gefunden – nicht zuletzt, weil er von einer Geschichte des Niedergangs erzählte. Nach dem Ende des Bergbaus und eines Großteils der chemischen Industrie ist Staßfurt zu einer leeren Stadt geworden. Von 26 833 Bewohnern im Jahr 1988 blieben trotz Eingemeindungen nur noch 22 322 im Jahr 2007.

Im Zuge der IBA Stadtumbau 2010 thematisiert Staßfurt den Verlust seiner Mitte, gestaltet an ihrer Stelle einen Landschaftsraum und vermittelt technische Erfahrung im Umgang mit Bergbaufolgeschäden. Ein dezentrales Entwässerungssystem wurde entwickelt, das lediglich noch die bebauten Flächen trocken hält. Im Senkungstrichter wird mit einem 2005 angelegten Stadtsee eine gesteuerte Vernässung zugelassen. Dieser neue Stadtsee, ein zentrales Projekt der IBA Stadtumbau 2010, ist ein Bekenntnis zur verlorenen historischen Stadtmitte, die als gestaltlose Brache lange aus dem Bewusstsein verschwunden war. Eine Schotterschüttung am Ufer soll an das rohe kristalline Salz erinnern, das einerseits zum Wohlstand der Stadt, aber auch zum Verlust ihres Zentrums geführt hat. Gleichzeitig toleriert die Steinschüttung die zu erwartenden wechselnden Wasserstände.

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Der gesamte Senkungsbereich – die einstige Mitte – wurde als räumliche Einheit gestaltet und mit den umliegenden Stadträumen in Beziehung gesetzt. Einige erhaltene Stadthäuser am Rande des Areals am Holzmarkt werden vor dem Verfall bewahrt und restauriert, während die neu entstandene Landschaft entschieden das Fehlen von heiler Altstadt thematisiert. Das Kirchengrundstück südlich des Sees, auf dem 1,50 Meter unter dem heutigen Geländeniveau die Reste der St.-Johannes-Kirche und des sogenannten Schiefen Turmes liegen, bleibt unangetastet für spätere Generationen erhalten und wurde als planer Rasen gestaltet. Der Umriss einer schief im Rasen liegenden Fläche markiert den ehemaligen Kirchturm, der über mehr als 1000 Jahre das Wahrzeichen Staßfurts war.

Der Große Markt, der sich weiter in südlicher Richtung anschließt, entspricht seiner historischen Fläche und liegt als glatte Ebene in einem Bett von Kleinsteinpflaster.

Eine Brachfläche westlich des Sees wurde mit Kirschbäumen bepflanzt, die im Fall einer späteren Bebauung wieder entfernt werden können. Am nördlichen Ufer wurden um die früheren Kalischächte die sogenannten Kaligärten angelegt. Um den Landschaftsraum mit den umliegenden Straßen zu verbinden, sind die wichtigsten Wegeverbindungen aufgegriffen worden und führen nun westlich als Promenade am See vorbei.

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Die Stadtlandschaft in Staßfurts „aufgehobener“ Mitte präsentiert sich dem Besucher nicht als Idyll, sondern als klar geformter Stadtraum. Eine gewisse Schroffheit passt zur Geschichte, die der Ort vermittelt. Er wird von der Bevölkerung als öffentlicher Raum gut angenommen. Man trifft Kinder, Fahrradfahrer und Spaziergänger.

Die wiedergewonnene Mitte hat zu einer sachten Belebung der umliegenden Geschäftsstraßen geführt, in denen Gewerbeleerstände ins Auge fallen.

In unmittelbarer Nähe zum Senkungsbereich, in der Steinstraße, wurden etliche leer stehende Wohn- und Geschäftsräume saniert und neu vermietet. Einige Restaurants zogen ein. Ein lange ungenutztes historisches Kaufhaus mit zwei Etagen, eine markante Eckbebauung, kann heute wieder als Wohn- und Geschäftshaus genutzt werden. In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich ein mittelalterliches Gebäude, ein ehemaliges Bürgermeisterhaus, in dem sich während des Dreißigjährigen Krieges der bekannte Feldherr Graf Tilly aufgehalten hatte. Dieses Gebäude beherbergt heute ein Theatercafé mit Veranstaltungsräumen. Darüber hinaus konnten auch einige Baulücken, die im Zuge der senkungsbedingten Abrisse entstanden waren, wieder neu bebaut und einer Nutzung zugeführt werden.

Tina Veihelmann, 2010

Präsentation 2010 in Staßfurt

Ausstellung

Ausstellungsraum White Cube, Steinstraße 19

Gestaltung: Schaller & Schubert, Halle (Saale)

Weitere Staßfurt-Bilder

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Info: Staßfurt

  • Einwohner:
    (auf dem Gebietsstand von 2010)
    1989: 41.325
    2009: 29.456
    2025: 22.808 (Prognose)
     
  • Fläche: 146,53 qkm