Projekt Quedlinburg

Perspektive Weltkulturerbe

Quedlinburg hat eine der am besten erhaltenen mittelalterlichen Altstädte Deutschlands. Ihre Aufnahme im Jahr 1994 in das  Weltkulturerbe der UNESCO, bedeutet für die Stadt einerseits eine große Chance. Zugleich stellt es die Stadt vor gravierende Probleme: Auf einer Fläche von 90 Hektar stehen von 1300 Fachwerkgebäuden etwa 250 Häuser leer und drohen, zu verfallen. Gehen historische Einzelbauten und Ensembles verloren, löst sich der geschlossene städtebauliche Grundriss auf, und damit die materielle Basis für das Prädikat Weltkulturerbe.

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Mit dem IBA-Thema „Perspektive Weltkulturerbe“ arbeitet Quedlinburg an einer Strategie, in Zeiten von Abwanderung und knapper Kassen, das Flächendenkmal Altstadt als Ressource zur erhalten und weiter zu entwickeln. Dabei verfolgt die Stadt den Ansatz, die historische Bausubstanz nicht als Kulisse zu behandeln, sondern sie als Lebensraum zu aktivieren.

Quedlinburg ist eines der sehr frühen mittelalterlichen Zentren. Im Jahr 922 wurde es zur Osterpfalz der ottonischen Herrscher. Von entscheidender Bedeutung für seine wirtschaftliche und politische Bedeutung war der Sitz eines Damenstifts mit Markt- Münz- und Zollrecht. Im Spätmittelalter prosperierte die Stadt wirtschaftlich. Den größten städtebaulichen Aufschwung nahm sie ab dem Dreißigjährigen Krieg. Die meisten der 1300 erhaltenen Fachwerkhäuser entstanden in dieser Zeit.

Im 18. und 19. Jahrhundert erreichte in Quedlinburg die Blumen- und Saatgutzucht weltwirtschaftliche Bedeutung.  Saatzuchtfirmen und Metallverarbeitung waren im 20. Jahrhundert die größten Arbeitgeber. Zu DDR-Zeiten beschäftigte das Werk VEB Mertik zeitweise mehr als 3.000 Menschen. Nach 1990 wurden zahlreiche Betriebe abgewickelt, andere gingen der Stadt verloren, weil sie ihre Standorte verlegten. Einzelne Nachfolgeeinrichtungen der Saatzuchtbetriebe existieren als Teilinstitute der Bundesanstalt für Züchtungsforschung an Kulturpflanzen in Quedlinburg. So hat das neu gegründete Julius-Kühn-Institut hier seinen Hauptsitz. Als Quedlinburg 2007 seine Rolle als Kreisstadt einbüßte, gingen etwa Arbeitsplätze verloren. Seit 1990 haben 20 Prozent seiner Einwohner Quedlinburg den Rücken gekehrt, um abzuwandern oder in die Umlandgemeinden zu ziehen. Von 28.663 Bürgern im Jahr 1990 blieben im Jahr 2008 rund 21.500. Prognosen erwarten für das Jahr 2020 zwischen 11.000 und 18.000 Bewohner.

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Heute ist der Tourismus eine der wichtigsten Branchen in Quedlinburg – allerdings will die Stadt nicht auf ihre Musealisierung bauen.

Gegen den Verfall der Altstadt zu DDR-Zeiten traten bereits 1989 Initiativen aus dem Umfeld der Bürgerbewegung auf den Plan. Flächenabrisse im nördlichen Teil der Altstadt konnten verhindert werden. Nach 1990 wurde mit der Sanierung vor allem vieler kleinerer Fachwerkhäuser begonnen, deren Sanierung von privaten Bauherren finanziell zu bewältigen war.

Trotz eindrucksvoller Erfolge in der Sanierung und Restaurierung seit 1991 als „Modellstadt für Stadtsanierung“ und im Programm Städtebaulicher Denkmalschutz  stellt der tiefgreifende ökonomische und demografische Strukturwandel die  Stadt und ihr Flächendenkmal vor existentielle Herausforderungen. Vor allem für große leer stehende Gebäude wurden wegen des hohen Investitionsbedarfs auch nach 20 Jahren keine neuen Nutzungen gefunden. Ganze Gebäudeensembles sind bedroht. Die Stadt steht vor leeren Hauhaltskassen, und es ist der Kommune kaum mehr möglich,  erforderliche Eigenmittel zur Ko-Finanzierung von Fördergeldern aufzubringen.

Das IBA-Projekt in Quedlinburg trägt der Tatsache Rechnung, dass eine Vielzahl von privaten baulichen und kulturellen Aktivitäten dazu beigetragen hat, die historische Kernstadt zu erhalten und zu beleben. Dieses Initiative ist – neben der  öffentlichen Förderung und der Förderung durch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz – das Rückgrat der Sicherung und Weiterentwicklung des Welterbes. Der IBA-Beitrag der Stadt besteht darin, dieses Engagement zu stärken und die Erfahrungen, die Quedlinburg sammeln konnte, zu vermitteln.

Play VideoDazu wurden Aktionsplattformen gebildet wie das jährliche „Denkmalfrühstück“ und das „Forum Bürger für Quedlinburg“, das einen Austausch zwischen Bürgerschaft, Stadtverwaltung, Kommunalpolitik und Denkmalschutz ermöglicht. Das „Forum Bürger für Quedlinburg“ bietet eine Plattform für eine Mitwirkung am UNESCO-Managementplan. Dieser Plan, der zukünftige räumliche und (kultur)wirtschaftliche Handlungsprioritäten zu Schutz und Weiterentwicklung des Weltkulturerbes setzt, begreift die Stadt als einmalige Chance. Als integriertes Planungsinstrument muss er die Vermittlung  sowohl von  Denkmalschutz,  Städtebau und wirtschaftlicher Entwicklung leisten sowie ein Konzept auch für nachhaltigen Tourismus und die kulturelle Profilierung der Stadt. 

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Ein Aspekt wird für die Zukunftsfähigkeit der Altstadt von besonderer Bedeutung sein: die Frage der Vereinbarkeit von Denkmalschutz und Wärmeschutzmaßnahmen an den historischen Gebäuden, die nicht in moderne Dämmstoffe gehüllt werden dürfen. Die Altstadt steht so in Konkurrenz zu preiswerteren, weil energieeffizienteren Wohnungsmarktsegmenten der Stadt. Deshalb müssen Sanierungsmethoden weiter entwickelt werden, die ermöglichen, rechtlichen Anforderungen von Denkmalschutz und Wärmeschutz zur CO2-Einsparung gerecht zu werden – so dass es für Eigentümer und Mieter wirtschaftlich vertretbar ist. Hierbei wird wesentlich auf die Expertise des Deutschen Fachwerkzentrums, spezialisierter Fachunternehmen und ansässiger Architekten zurückgegriffen, die in Zusammenarbeit mit der städtischen Sanierungsgesellschaft in den letzen beiden Jahrzehnten eindrucksvolle Beispiele der Sanierung und Reaktivierung von historischer Bausubstanz geschaffen haben.

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Die Praxis, die Quedlinburg im Laufe von 20 Jahren sammeln konnte, wird im Zuge der IBA Stadtumbau 2010 den nationalen und  internationalen Besuchern, zugänglich gemacht. Mit dem  IBA-Audio-Guide können individuelle Stadtwanderungen unternommen werden. Der Audio-Guide vermittelt die Geschichten von „Menschen und Häusern“. Vorgestellt werden „klassische Restaurierungen“ sowie unkonventionelle Methoden des Erhalts, z.B. Sanierungen, die bewusst auf gewohnte Standards verzichten, dafür „Altes alt sein lassen“ und damit nicht nur zu kostengünstigen Lösungen kommen,  sondern auch neue Wohn- und Arbeitsräume mit besonderen  Atmosphären schaffen, oder „Ausbauhäuser“, die soweit gesichert wurden, dass sie ohne Schaden ein weiteres Jahrzehnt auf neue Nutzer  warten  können. In manchen Häusern wurden einzelne Gebäudeteile hergerichtet –  etwa die Ladenräume in Erdgeschoss, während das Obergeschoss im stand by verharrt. Andere Denkmäler werden temporär z.B. als Gästewohnungen genutzt. Der Audio-Guide stellt  im IBA Jahr den Gästen die vielfältigen, auch unkonventionellen, denkmalpflegerischen Sanierungsleistungen Quedlinburgs vor und wirbt Interessenten insbesondere für die Ausbauhäuser.

Lea Bauer, 2010

Weitere Quedlinburg-Bilder

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Info: Quedlinburg